In-vitro-Fleisch:
80.000 Burger aus nur einer Kuh-Zellprobe
Wie kann der Hunger einer wachsenden Weltbevölkerung nachhaltig und umweltschonend gestillt werden? Vor allem die Viehzucht steht in der Kritik, verschwenderisch mit natürlichen Ressourcen umzugehen und der Umwelt zu schaden.
In den Regalen der Supermärkte finden sich bereits viele vegetarische und vegane Ersatzprodukte auf Pflanzenbasis, die den Proteinbedarf des Menschen decken sollen. Seit mehreren Jahren wird jedoch auch daran geforscht, Fleisch ohne die Notwendigkeit der Massentierhaltung herzustellen und trotzdem in Masse anzubieten: Künstlich erzeugtes Fleisch aus dem Labor, auch bezeichnet als In-vitro-Fleisch oder kultiviertes Fleisch. Hierbei werden unter sterilen Bedingungen tierische Fett- und Muskelzellen in Reagenzgläsern gezüchtet und mit Nährlösung angereichert, sodass das Gewebe wächst und weiter kultiviert werden kann.
„Mosa Meat“, ein führendes Unternehmen im Bereich des kultivierten Fleisches, das Rindfleisch direkt aus tierischen Zellen züchtet und 2013 den ersten kultivierten Hamburger vorstellte, hat den nächsten Schritt bei der Erweiterung seiner Produktionsanlagen für kultiviertes Rindfleisch angekündigt. Die In-vitro Fleischproduzenten machendie Burger der Zukunft. Dieses Fliesch schmeckt nicht nur „wie echtes“ Fleisch – es ist echtes Fleisch, das so brutzelt und saftig und schmackhaft ist wie ein herkömmlicher Burger. Das Unternehmen macht diese Burger, damit Menschen mit ihrer Ernährung die Zukunft unseres Planeten positiv beeinflussen können. Und es geht ganz einfach: Das Unternehmen ersetzt Rindfleisch… mit Rindfleisch. Die Fleischmacher stellen die In-vitro Burger durch die gleichen natürlichen Prozesse her, die für das Muskelwachstum in Kühen verantwortlich sind. Alles fängt mit einer leinsamengroßen Zellprobe an. Die Zellen werden voständig gepflegt und reifen anschließend durch natürliche Prozesse zu echtem Fleisch heran. Von dieser einen Zellprobe kann man sage und schreibe 80.000 Burger herstellen – und die Kuh lebt natürlich und glücklich weiter. Genau wie ein Bauer sich um seine Herde kümmert, kümmern sich die die Mosa Meat Experten um jede einzelne Zelle. Sicherlich hört sich das ein wenig ungewöhnlich an. Aber es ist Wirklichkeit und die Revolution einer neuen weltweiten Ernährungsära. In der Nähe der bestehenden Pilotanlage von Mosa Meat in Maastricht wird derzeit ein neues Entwicklungszentrum für die industrielle Produktion errichtet. Nach der Demonstration des Rindfleischzuchtverfahrens im Pilotmaßstab ist das Unternehmen nun bereit für die nächste Expansionsphase, in der Produktionslinien im industriellen Maßstab untergebracht werden und größere Produktionsmengen an Rindfleisch möglich sind.
„Wir haben unsere Fläche in der nächsten Phase um 2.760 Quadratmeter vergrößert, wodurch sich die Gesamtfläche von Mosa Meat auf 7.340 Quadratmeter erhöht“, so Maarten Bosch, CEO von Mosa Meat. „Damit sind wir der größte Campus für kultiviertes Fleisch weltweit und bieten eine solide Grundlage für unsere europäischen und globalen Vermarktungspläne.
Der weltweite Fleischkonsum wird bis 2030 voraussichtlich um mehr als 40 Prozent steigen, und Mosa Meat ist Teil einer wachsenden globalen Bewegung, die die Art der Fleischproduktion verändern will. Rindfleisch ist das Protein mit dem größten Kohlenstoff-Fußabdruck, weshalb sich Mosa Meat seit der Gründung des Unternehmens im Jahr 2016 darauf konzentriert hat.
In nur wenigen Jahren ist Mosa Meat auf über 160 Mitarbeiter angewachsen, darunter mehr als 80 Wissenschaftler und die größte Anzahl von Doktoranden in der Branche. Das Produktionsteam ist in den letzten drei Monaten um das Fünffache auf 15 Mitarbeiter gewachsen. Gleichzeitig hat das Unternehmen auch seine Präsenz an den bestehenden Standorten erweitert, darunter Brightlands und die derzeitige Pilotanlage in Maastricht, wo die F&E-Kapazität weiter wächst. Zusammen bringt dies Mosa Meat der Kommerzialisierung einen Schritt näher. Mosa Meat plant die Eröffnung seines Entwicklungszentrums für die industrielle Produktion im Jahr 2023.
In-vitro-Fleisch wird außerhalb eines lebenden Organismus aus Muskelstammzellen hergestellt. Dabei werden einem Rind oder Schwein Muskelstammzellen entnommen und mithilfe von Zell- und Gewebekulturtechniken vermehrt. Wie hoch die Akzeptanz der Bevölkerung gegenüber In-vitro-Fleisch ist, hat die Arbeitsgruppe Biologiedidaktik der Universität Osnabrück untersucht.
Die erste Zulassung von In-vitro-Fleisch erfolgte 2020 in Singapur mit Chicken-Nuggets aus Zellkulturen. In Deutschland ist In-vitro-Fleisch noch nicht für den menschlichen Verzehr zugelassen. Ob und inwieweit es sich in Deutschland durchsetzt, hänge neben rechtlichen und technischen Herausforderungen stark von der Akzeptanz der Konsumentinnen und Konsumenten ab, erklärt der Biologiedidaktiker Dr. Florian Fiebelkorn, der gemeinsam mit seiner Doktorandin Jacqueline Dupont und Masterkandidatin Tess Harms die Studie durchgeführt hat.
„Im Vergleich zu konventionellem Fleisch ist die Produktion von In-vitro-Fleisch wesentlich nachhaltiger, denn man benötigt beispielsweise weniger Fläche und Wasser“, so Fiebelkorn weiter. Zudem müssten Tiere zur Produktion von In-vitro-Fleisch nicht getötet werden. „Für das Fleisch aus Zellkulturen dienen Tiere lediglich als Stammzellenspender – ein bei der aktuellen Tierwohldebatte nicht zu vernachlässigender Faktor“, fügt Dupont hinzu.
Rund 500 Männer und Frauen im Alter ab 18 Jahren aus Deutschland nahmen an der Fragebogen-Studie teil. Ein Ergebnis lautet, dass bisher nur 32 Prozent der Befragten von In-vitro-Fleisch gehört haben. Darüber hinaus untersuchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, durch welche ernährungspsychologischen Einflussfaktoren die Akzeptanz gegenüber einem In-vitro-Fleisch-Burger beeinflusst wird. “65 Prozent der Befragten gaben nach einer Beschreibung eines In-vitro-Burgers an, sie würden ihn probieren, 50 Prozent könnten sich vorstellen, ihn zu kaufen. 47 Prozent stimmten sogar zu, dass sie einen solchen Burger öfter anstelle herkömmlichen Fleischs nutzen wollen würden“, fasst Harms die Ergebnisse zusammen.
Das Team der Biologiedidaktik untersuchte auch, durch welche ernährungspsychologischen Faktoren die Akzeptanz individuell beeinflusst wird und wie man die Bereitschaft, In-vitro-Fleisch zu konsumieren, erklären kann. Demnach hätten eine positive Einstellung und ein großer wahrgenommener Druck von wichtigen Bezugspersonen, einen In-vitro-Fleisch-Burger zu konsumieren, hohen Einfluss auf die Konsumbereitschaft der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.
Als stärkste Barriere – sowohl für den potentiellen Konsum als auch für die Einstellungen – zeigte sich indes die Angst vor neuartigen Herstellungsverfahren von Lebensmitteln.
Die Autorinnen und Autoren leiten aus ihren Ergebnissen ab, dass Informationskampagnen und Marketingstrategien zur Steigerung der Akzeptanz von In-vitro-Fleisch vermehrt auf Ähnlichkeiten zu konventionellem Fleisch und die Vorteile für die Umwelt eingehen sollten.
Fiebelkorn forscht und lehrt seit Oktober 2016 als Biologiedidaktiker an der Uni Osnabrück. Seine Forschungsschwerpunkte sind unter anderem die Untersuchung der Einflüsse von Wissen und Einstellungen auf eine nachhaltige Ernährung und den Schutz von Biodiversität.
(Quellen : FH Münster, Uni Osnabrück, Mosa Meat.)