Innovative Konzepte für zukünftiges emmisionsfreies Fliegen:
Die Luftfahrtbranche ist im Umbruch
Auf der größten Luft- und Raumfahrtausstellung Europas, der ILA 2022, präsentierte u.a. die Fraunhofer-Gesellschaft ihre Ideen für den Kampf gegen den Klimawandel. Innovative Konzepte für emissionsfreies Fliegen und ressourcensparende Fertigungsverfahren geben wichtige Impulse für die Luftfahrt der Zukunft. Auch die Raumfahrt leistet ihren Beitrag, etwa durch die satellitengestützte Erdbeobachtung. Zudem präsentierte das Wasserstoffnetzwerk spannende Entwicklungen für Flugzeugantriebe ohne Treibhausgasemissionen. Die Luftfahrtbranche ist im Umbruch!
Der Green Deal der Europäischen Union sieht vor, die Netto-Emissionen von Treibhausgasen des europäischen Kontinents bis 2050 auf null zu reduzieren. Das betrifft auch die Luftfahrtbranche. Sie muss zügig Technologien für mehr Nachhaltigkeit entwickeln.
Schon 2035 sollen erste Flugzeuge in Betrieb gehen, die kein CO2 mehr ausstoßen. Auch die Raumfahrt trägt zur Bekämpfung des Klimawandels bei, beispielsweise durch die Auswertung von Erdbeobachtungsdaten, die der Schlüssel zum Verständnis des Klimawandels sind.
In diesem Sinne stand die diesjährige Luft- und Raumfahrtausstellung ILA in Berlin unter dem Motto »Pioneering Aerospace«. Die ausstellenden Fraunhofer-Institute entwickeln Technologien für die Gestaltung einer nachhaltigen, klimaneutralen Luft- und Raumfahrt entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Konstruktion über die Fertigung bis zum Recycling. Neben Entwicklungen aus Fraunhofer-Leitprojekten werden Ergebnisse, beispielsweise aus dem nationalen LuFo-Förderprogramm (Luftfahrtforschungsprogramm) sowie dem europäischen Clean-Sky-Programm, gezeigt.
Beim Thema Space präsentieren sich Fraunhofer-Spin-offs mit Technologien für die Erdbeobachtung aus dem All – ein Thema, das für den Klimaschutz von zentraler Bedeutung ist. Darüber hinaus präsentieren dieFraunhofer-Institute Konzeptstudien für die Zukunft der Luftmobilität in urbanen Räumen, etwa durch unbemannte Flugzeugsysteme.
Die Themen im Überblick: Neue Materialien und Fertigungsverfahren für nachhaltigen Flugzeugbau, Öko-Design durch Digitalisierung, Automatisierung und Virtualisierung, Wasserstofftechnologien für Luft- und Raumfahrt, Air Mobility für urbane Räume, Space-Technologien aus Kommunikation und Navigation, Schutz und Zuverlässigkeit, Materialien und Prozesse sowie Oberflächen und Optiken.
Das Netzwerk Wasserstoff zeigt, was mit der sauberen Energiequelle Wasserstoff im Bereich Luft- und Raumfahrt möglich ist, etwa im Bereich der Antriebskonzepte.
Mit ihren Forschungsinitiativen trägt die Fraunhofer-Gesellschaft zum Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft bei. Fraunhofer-Forschende haben hierfür innovative Konzepte entwickelt, darunter Wasserstofftanks aus Faserverbundkunststoffen.
3D-Druck im Flugzeugbau:
Additive Fertigungstechnologien wie 3D-Druck bieten hohe Flexibilität beim Design und schonen Ressourcen durch gezielten Materialeinsatz. Das Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik Ernst-Mach-Institut EMI zeigt zwei unterschiedliche mit 3D-Druck gefertigte Türaufhängungen für Verkehrsflugzeuge und erklärt, wie die Technologie den Leichtbau unterstützt.
Thermoplaste für den modernen Flugzeugbau:
Thermoplastische Kunststoffe sind auch nach der Aushärtung wieder verformbar. Sie lassen sich so leichter reparieren oder recyceln. Der Einsatz bringt den Flugzeugbau dem großen Ziel Kreislaufwirtschaft deutlich näher. Das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM zeigt, dass der Kunststoff u. a. für die Herstellung von Integralspanten, die zum Versteifen eines Flugzeugrumpfs dienen, genutzt werden kann. Für die Montage dieser Integralspanten an den Rumpf setzt das Institut einen robotergeführten 3D-Druck als automatisierte Fügetechnologie ein.
Digitalisierung und Virtualisierung:
Augmented Reality und Virtual Reality halten beim Flugzeugbau Einzug. Vier Fraunhofer-Institute demonstrierten, wie digitale und virtuelle Methoden sinnvoll in der Flugzeugkonstruktion und -produktion eingesetzt werden können. Besucherinnen und Besucher am Stand hatten sogar die Möglichkeit, mit einer VR-Brille eine virtuelle Anwendung des Fraunhofer-Instituts für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik IPK direkt am digitalen Flugzeugmodell zu erleben.
Noise Cancelling für Flugzeugmaterialien: Vibroakustische Metamaterialien (VAMMs) sind durch eine spezielle Anordnung in der Lage, die Ausbreitung von Wellen in bestimmten Frequenzbereichen zu stoppen. Fliegen wird so leiser und komfortabler. Ein Cabin-Lining-Element aus einem Flugzeug demonstriert das Potenzial der VAMMs. Entwickelt wurde die Technologie am Fraunhofer-Institut für Betriebsfestigkeit und Systemzuverlässigkeit LBF.
Advanced Air Mobility: Im Leitprojekt ALBACOPTER® entwickeln unter Leitung des Fraunhofer-Institut für Verkehrs- und Infrastruktursysteme IVI sechs Fraunhofer-Institute ein skalierbares Drohnenkonzept, um zukünftig Teile des städtischen Verkehrs in die Luft verlagern zu können. Die Besonderheit besteht in der Verknüpfung der VTOL-Fähigkeit (Vertical Take-Off and Landing) eines Multicopters mit den aerodynamischen Vorzügen eines Segelgleiters.
SPACE Technilogien:
Innovative Tanks für Wasserstoff:
Auch für die Speicherung des Wasserstoffs gibt es neue Lösungen. Das Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung IFAM setzt auf leichte und recyclingfähige Faserverbundkunststoffe (FVK). Mit einer besonderen Beschichtung bieten sie außergewöhnliche Dichtigkeit und können somit auch als Wasserstofftank eingesetzt werden. Eine gewichtssparende, ressourcenschonende und gleichzeitig sichere Alternative zu den herkömmlichen schweren Stahltanks.
Spiegelteleskop ATHENA: Für das Spiegelteleskop (Advanced Telescope for High-Energy Astrophysics) der European Space Agency (ESA) entwickeln Expertinnen und Experten des Fraunhofer-Instituts für Werkstoff- und Strahltechnik IWS eine der drei Hauptbauteile des Teleskops, eine ausfahrbare optische Bank. Der Clou: Bei der Fertigung kommen besonders effiziente und ressourcenschonende Verfahren wie Laserauftragschweißen und additive Fertigung zum Einsatz.
Satelliten zur Erdbeobachtung: Im Kampf gegen den Klimawandel gewinnt die Erdbeobachtung mit Satelliten immer mehr Bedeutung. In der Start-up-Area zeigten Fraunhofer-Spin-offs ihre Technologien:
SPACEOPTIX, eine Ausgründung des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Optik und Feinmechanik IOF, präsentiert Metalloptiken und Spiegelsysteme für Anwendungen in den Bereichen Weltraum, Astronomie, Wissenschaft und Industrie. Forschende des Fraunhofer-Instituts für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut, EMI haben ConstellR gegründet. Im Mittelpunkt steht ein satellitengestütztes System zur Überwachung von Trockenstress und der Bewässerung landwirtschaftlicher Anbauflächen.
ISRU nutzt Materialien auf Mond und Mars:
ISRU (In Situ Ressource Utilization) gehört zu den zukunftsweisenden Technologien der nachhaltigen Industrieproduktion. Bei den entsprechenden Verfahren werden vor Ort vorgefundene Materialien als Bau- oder Verbrauchsmaterialien verwendet. Forschende aus dem Fraunhofer-Institut für Schicht- und Oberflächentechnik IST arbeiten an elektrochemischen Verfahren, um aus Regolith, einem Pulver, das die Mondoberfläche bedeckt, Eisen oder Aluminium zu extrahieren. Auf dem Fraunhofer-Stand sind die Reduktionsprozesse ELMORE und ROXY zu sehen, die bei Missionen zum Mond und in Zukunft auch auf dem Mars zum Einsatz kommen könnten.
Fraunhofer-Satellit im Orbit:
Anfang 2023 will die Fraunhofer-Gesellschaft den Nanosatelliten ERNST (Experimental Spacecraft based on Nano-Satellite-Technology) in den Orbit schicken. Der nur 22 kg schwere Satellit wurde vom Fraunhofer-Institut für Kurzzeitdynamik, Ernst-Mach-Institut EMI entwickelt. Er nutzt einen kryogekühlten Infrarotdetektor, eine Infrarot-Kamera zur Erdbeobachtung und einen Strahlungsdetektor. ERNST ist als Gesamtsystem konzipiert, das in der Lage ist, ganz unterschiedliche Missionen sehr kurzfristig zu realisieren und in den erdnahen Orbit zu bringen.
Bundeskanzler Olaf Scholz eröffnete die diesjährige ILA 2022 in Berlin. Hier Auszüge aus seiner Eröffnungsrede:
„Fast unbemerkt hebt das Flugzeug ab. Der hybride Elektromotor, der die Turbine betreibt, summt so leise, dass man den Flugwind zu hören glaubt. Doch der Flieger ist so aerodynamisch geformt, dass er kaum ein Geräusch produziert. Unter uns liegt der Flughafen. Die vollelektrischen Transport- und Ladefahrzeuge summen umher. Auf dem Dach befinden sich Solarzellen, die dank modernster Satellitentechnologie hocheffizient arbeiten. Diese Satelliten wurden übrigens mit neuartigen Raketen ins All gebracht, angetrieben von grünen Kraftstoffen. Jetzt entspannt zurücklehnen und ganz so wie früher ein Buch lesen! Neu ist nur, dass dieses Buch heute Morgen per Lieferdrohne nach Hause gebracht wurde, natürlich emissionsfrei.
So oder ähnlich könnte die Luft- und Raumfahrt der Zukunft aussehen, klimaneutral, geräuscharm und vor allem hochinnovativ.
Wenn man sich hier auf der ILA umschaut, dann merkt man, dass das, was ich gerade beschrieben habe, keine Science-Fiction, keine ferne Zukunftsmusik ist. An den Technologien dafür wird längst erfolgreich geforscht und gearbeitet. „Pioneering aerospace“ ‑ das Motto der diesjährigen ILA erinnert daher nicht nur an die Ursprünge dieser ältesten Luftfahrtschau und an den historischen Pioniergeist der Luftfahrt.
„Pioneering aerospace“ drückt vor allem den Anspruch einer Branche aus, die wie kaum eine andere für Innovation und Fortschritt steht, zu Zeiten von Fesselballon und Zeppelin genauso wie heute.
Das macht Mut, dass uns die große Transformation gelingt, die jetzt vor uns liegt. Im Kern geht es um die Frage, wie wir unser Wirtschaftsmodell, das fast 200 Jahre lang auf dem Verbrennen von Kohle, Öl und Erdgas beruhte, so umbauen, dass wir die Zukunft unseres Planeten sichern.
Die Zeit dafür ist denkbar kurz. Bis 2045 will Deutschland CO2-neutral sein und zugleich ein führendes Industrieland bleiben. Da ist es gut, dass diese Branche selbst alles daransetzt, Europas Luftfahrtsektor bis 2050 CO2-neutral zu machen.
Praktisch heißt das zweierlei. Zum einen muss die Herstellung von Spitzentechnologie für Flugzeuge, Helikopter, oder Drohnen künftig klimaneutral erfolgen. Und zum anderen braucht es neue, rentable Technologien und Ideen für die CO2-freie Mobilität der Zukunft.
Bodenmanagement, Flugrouten, Werkstoffe, Antriebstechnologien, all das muss neu gestaltet werden. Welche Veränderungen das für Wertschöpfungsketten und auch für die Beschäftigten in der Luft- und Raumfahrt mit sich bringt, kann man sich ausmalen. Ein solch fundamentaler Umbau gelingt nur im Schulterschluss zwischen allen Verantwortlichen, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Diesen Schulterschluss herzustellen, das ist die Idee hinter der „Allianz für Transformation“, die letzte Woche erstmals im Bundeskanzleramt getagt hat. Sie soll die Modernisierung unseres Landes in den nächsten Jahren begleiten und vorantreiben und alle Beteiligten auf diesem Weg mitnehmen“.
Fotos©Messe Berlin/Fraunhofer