„Wer ein Intensivbett benötigt, muss es auch bekommen“
Mit der Mehrheit beinahe aller Stimmen aus den Reihen der Koalitionsfraktionen hat der Bundestag jüngst das Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes angepasst, um der sogenannten „Triage-Entscheidung“ des Bundesverfassungsgerichts Rechnung zu tragen. Mit dem entsprechend angenommenen Gesetzentwurf der Bundesregierung soll die bestehende Schutzpflicht, die sich aus Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes ergibt, umgesetzt werden.
„Wer ein Intensivbett benötigt, muss es bekommen – auch in der Pandemie. Dafür werden wir uns weiter einsetzen. Aber prinzipiell muss klar sein, dass Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen auch in Zeiten knapper Kapazitäten nicht benachteiligt werden. Diesem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts trägt das jetzt beschlossene Gesetz Rechnung“, so Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach. Das Gesetz enthält insbesondere folgende Regelungen:
Schutz vor Diskriminierung: Die Regelungen zur Zuteilungsentscheidung von aufgrund einer übertragbaren Krankheit nicht ausreichend vorhandenen überlebenswichtigen intensivmedizinischen Behandlungskapazitäten gelten für alle Patientinnen und Patienten, unabhängig von der Ursache der intensivmedizinischen Behandlungsbedürftigkeit. Niemand darf bei einer Zuteilungsentscheidung benachteiligt werden.
Überlebenswahrscheinlichkeit:
Maßgebliches Kriterium für die Zuteilungsentscheidung ist die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit. Komorbiditäten, das heißt weitere Erkrankungen, dürfen bei der Beurteilung der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit eingeschränkt berücksichtigt werden. Zudem wird klargestellt, dass Kriterien, die sich auf die aktuelle und kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit nicht auswirken, wie Alter, Behinderung und Grad der Gebrechlichkeit, nicht berücksichtigt werden dürfen. Ausdrücklich von einer Zuteilungsentscheidung ausgenommen sind bereits zugeteilte überlebenswichtige intensivmedizinische Behandlungskapazitäten, so lange eine intensivmedizinische Behandlung noch indiziert ist und dem Patientenwillen entspricht. Hierdurch wird dem Vertrauen der Patientinnen und Patienten in die Fortsetzung ihrer bereits begonnenen Behandlung Rechnung getragen.
Mehraugenprinzip:
Zuteilungsentscheidungen müssen nach dem Gesetz im Rahmen eines Mehraugenprinzips durch hoch qualifizierte Ärztinnen und Ärzte getroffen werden. Dabei ist zudem die Einschätzung einer Person mit besonderer Fachexpertise zu berücksichtigen, wenn eine Patientin oder ein Patient mit einer Behinderung oder Komorbidität von der Zuteilungsentscheidung betroffen ist. Das Gesetz regelt darüber hinaus Dokumentationspflichten sowie die Verpflichtung der Krankenhäuser, die Umsetzung der vorgeschriebenen Entscheidungsabläufe durch Verfahrensanweisungen sicherzustellen. Im parlamentarischen Verfahren wurden insbesondere folgende Ergänzungen beschlossen:
Meldepflicht der Krankenhäuser:
Krankenhäuser werden verpflichtet, getroffene Zuteilungsentscheidungen an die für die Krankenhausplanung zuständige Landesbehörde zu melden. Hierdurch wird die zuständige Landesbehörde in die Lage versetzt, im Rahmen ihrer Zuständigkeit tätig zu werden, um zukünftige Versorgungsengpässe zu vermeiden.
Wissenschaftliche Evaluierung: Eine externe Evaluation soll spätestens bis zum 31. Dezember 2025 beauftragt werden. Die Evaluation wird interdisziplinär auf Grundlage rechtlicher, medizinischer und ethischer Erkenntnisse durch unabhängige Sachverständige durchgeführt.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts:
In seinem Beschluss vom 16. Dezember 2021 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Staat in bestimmten Konstellationen ausgeprägter Schutzbedürftigkeit eine Pflicht hat, Menschen wirksam vor einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung auch durch Dritte zu schützen. Eine solche Situation ausgeprägter Schutzbedürftigkeit sah das Bundesverfassungsgericht in dem Risiko der Benachteiligung wegen einer Behinderung bei der Zuteilung knapper überlebenswichtiger intensivmedizinischer Ressourcen und gab dem Gesetzgeber daher auf, Schutzvorkehrungen für diesen Fall zu treffen.