Wenn der Kontrollverlust die Grenzen der Wahrheit verwischt:
Verschwörungsgläubige, Angst und Filterblasen
Der Mond, Quelle von Mythen und Legenden. Doch seit nunmehr 50 Jahren haben Menschen seine Oberfläche erkundet, dort Spuren hinterlassen und sogar Mondgestein zur Erde gebracht. „Heisst es....!“
16. Juli 1969: Die Reise der Apollo 11 wird zu größten Medienspektakel aller Zeiten. Es ist die Zeit des Kalten Krieges. Ost und West liefern sich einen Rüstungswettlauf. Auch im Weltraum. Die Reise zum Mond wirkt deshalb auf manche wie eine perfekte Inszenierung, eine Heldengeschichte, von den Amerikanern in die Welt gesetzt. Vermutlich, um zu zeigen, wer im All der „Platzhirsch“ ist. Etwa 600 Millionen Menschen erleben zu diesem Zeitpunkt im TV, wie Neil Armstrong seine ersten Schritte auf den Mond setzt. Ein Fake? Die Soviets hätten dies sofort enthüllt. Dennoch hat es die Mondlandung für manche nicht gegeben.
Was man nicht unmittelbar mit eigenen Augen sehen kann, das weckt oftmals Mißtrauen. So malen sich so manche aus, auch die Kugelform der Erde sei rein erfunden. Sie nennen sich deshalb „Flacherdler“! Diese Vereinigung trifft sich tatsächlich jährlich auf einem Kongress und dort bestätigen sich deren Mitglieder gegenseitig, dass die Erde tatsächlich keine Kugel sein soll. Dabei kann man sehr leicht beweisen, dass die Erde eine runde Form hat, dies ist also keineswegs eine Glaubensfrage. Auch Aufnahmen von Satelliten und Raumstationen beweisen dies. Für manche Menschen ist dies jedoch nicht die Wahrheit.
„Corona ist nur eine Grippe“ und die Impfungen eine „Biowaffe, um die Menschheit auszurotten“! Seit der Pandemie sind Verschwörungserzählungen in den öffentlichen Debatten so präsent wie nie zuvor. Doch wer sind die Leute, die immer wieder, immer neue Lügen in die Welt setzen? Und warum fangen sie mit ihren Erzählungen auch immer öfter Menschen, die bislang davor gefeit waren? Das Ziel der oft auch rechtsradikalen Hetzer ist offensichtlich, die Gesellschaft zu spalten und die Demokratie zu zerrütten.
Wieso können Verschwörungstheorien, wie auch in der Corona Pandemie geschehen, einen derartigen Sog entfalten? Dr. Harald Lamprecht ist als Weltanschauungsbeauftragter in Sachsen tätig. An ihn wenden sich Angehörige von sogenannten Verschwörungstheoretikern. Seit der Corona Pandemie ist er gefragt wie nie zuvor! „So eine weltweite Pandemie ist natürlich eine Situation, die vielen Menschen den Boden unter den Füßen wegzieht und große Unsicherheiten und Kontrollverluste mit sich bringt. Und dies sind alles Elemente die grundsätzlich strukturell Verschwörungsdenken verstärken und fördern. Wenn man z.B. „Schuldige“ nennen kann, die für derartige Krisen verantwortlich sind, dann scheint das eigene Schicksal nicht mehr so extrem diffus und dies erleichtert es so manchem, besser mit der aktuellen Situation klarzukommen“, so Dr.Lamprecht.
Aber es ist wirklich nicht leicht, einmal im Netz der Verschwörungsideologien gefangen, diesem wieder zu entkommen! Das sagt die Politikwissenschaftlerin Katharina Nocun, die seit Jahren zu dem Thema publiziert: „Es ist sehr naiv anzunehmen, dass man bei jemandem, welcher eine sehr starke verschwörungsideologische Überzeugung hat, da ein „einfacher Faktencheck“ ausreicht, um denjenigen zu überzeugen, dass er falsch liegt. Weil da geht es auch darum, dass die eigene Überzeugung natürlich auch auf der emotionalen Ebene Bedürfnisse befriedigt. Zum Beispiel das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, das Gefühl gebraucht zu werden oder das Gefühl Teil einer Gruppe zu sein. Denn man sollte auch bedenken: Wenn sich jemand über Monate oder gar Jahre in so einer Überzeugung sozusagen „verrannt“ hat, was das für eine innere Kraft kostet, an einen Punkt zu kommen, wo man sich innerlich eingesteht, dass man kolossale Fehleinschätzungen getroffen und Dinge verbreitet hat, die einfach unwahr sind.“
Mit solchen Argumenten kann man jedoch die meisten Verschwörungsgläubigen leider nicht überzeugen. Sie nehmen die eigene Abspaltung, auch von Familienmitgliedern und Freunden in Kauf, werfen Andersgläubigen Spaltung und Leichtgläubigkeit vor und akzeptieren nur noch die eigene Weltanschauung.
Dr. Lamprecht: „Leider kann man das immer wieder sehen, dass Familien daran zerbrechen, dass auch Ehen auseinander gehen, weil einfach die gemeinsame Basis und Grundlage verloren geht, auf der man eigentlich einmal zusammen kam. Was halten wir eigentlich für wahr und was stimmt tatsächlich? Je länger sich Menschen da hinein begeben, desto mehr sieht man, das sehr vieles einfach weg bricht und plötzlich nichts mehr sicher scheint“.
Der Einstieg in die Welt der Verschwörungsmythen sind meist die sogenannten „alternativen Medien“! Was macht sie so verführerisch? Wie schnell gerät man hier in einen Sog, der zu immer radikaleren Thesen führt? Um Antworten zu finden tauchte Hans Demmel in einer Art Selbstexperiment in die Parallelwelt der Verschwörungsmedien ein. Ein halbes Jahr lang informierte er sich ausschließlich dort. Demmel: „Es ist eine extrem dunkle Welt, eine Welt, in der es kaum Hoffnung gibt und in welcher die etablierten Medien nach der Auffassung ihrer Gegner nur Lügen verbreiten. Diese über sechs Monate andauernde Phase meiner Recherchen hat mich am Ende tief deprimiert zurückgelassen!“
Hans Demmel ist Medienprofi. Ein erfahrener Journalist und ehemaliger Vorstandsvorsitzender im Verband privater Medien/Berlin. Verführerisch war für ihn weniger der Unsinn in den Tiefen des Internets, sondern jener Medien, die auch am Bahnhofskiosk ausliegen und die er als „Einstiegsdroge“ bezeichnet. „Diese Medien, die, wenn man so will, noch am bürgerlichen Rand oder die anschlussfähig für konservativ bürgerliches Denken sind, fangen schon an mit Begriffen, wie beispielsweise „Staatsverwahrlosung“ demokratisches Gedankengut zu unterminieren. Wenn man dann dem ein oder anderem Autor auf z.B. „Youtube“ folgt, zieht es einen mit sehr, sehr hohem Tempo immer weiter nach rechts mit immer wilderen Theorien“, so Demmel. Hier erfährt Demmel z.B., dass Donald Trump vom „Deep State“ um den Wahlsieg betrogen wurde und dass es in Wirklichkeit gar keine Pandemie gäbe. Ein Sog von Halbwahrheiten und Falschnachrichten, der vor allem eines hinterlässt: Tiefe Verunsicherung!
Demmel: „Ich habe mich schwer getan, dort wieder herauszukommen und es gibt heute immer noch an der ein oder anderen Stelle Zweifel. Es gibt bei mir ein immenses Mißtrauen gegen jede Art von Veröffentlichung, selbst gegenüber Medien, für die ich selbst gearbeitet habe.“ Über seine Erfahrungen hat Hans Demmel gemeinsam mit seinem Freund und Kollegen Friedrich Küppersbusch ein Buch mit dem Titel „Anderswelt“ geschrieben. Die große Gefahr, welche die beiden Autoren sehen: Am Ende verwischt die Grenze zwischen Journalismus und Propaganda und Wahrheit und Lüge.
Friedrich Küppersbusch: „Jeder der möchte, kann sich heute die Meinung die er haben möchte googlen. Also sozusagen „Rektal- Journalismus“ betreiben. Das bedeutet: Ich erfinde mal eine Schlagzeile und die google ich solange , bis jemand sagt oder bestätigt „es sei so“. Heute leben wir in einem Zeitalter, wo das geht. Wo ich ins Netz gehe und die Plattform bevorzugt bediene, die mir z.B. erzählt, der Führer Adolf Hitler säße in seinem Versteck unterm Südpol und warte auf seine Stunde. Und dann findet sich auch ein „Irrer“, der derartiges schreibt und schon haben wir eine neue „Wahrheit“ erfunden!“
Demmel ergänzt: „ Wenn Sie ausschließlich diesen „Medien“ folgen und nur das glauben, was dort steht, dann sind Sie eigentlich verpflichtet Widerstand gegen diesen Staat zu leisten.“ Wer aber sind die Akteure, die den Hass verbreiten ? Einer der bekanntesten Hetzer betritt mit Beginn der Pandemie die Bühne der Verschwörungsideologen. Attila Hildman, mit vollem Namen Attila Klaus Peter Hildmann. Im früheren Leben erfolgreich als Autor von Kochbüchern. Seit Beginn der Pandemie „hauptberuflich“ Verschwörungsideologe und rechtsradikaler Antisemit. Hildmann scharrt schnell Anhänger/Innen ums sich. Auf „Telegram“ hat er zeitweise mehr als 100.000 Abonennten. Der Mann, der Hildmann seit Sommer 2020 unterstützte und zahlreiche seiner Socialmedia – Kanäle verwaltete ist Kai Enderes. Der IT Experte wohnte zeitweise sogar bei Hildmann. Vor Kurzem hat Enderes jedoch mit Hildmann gebrochen und packte im Fernsehen über seine Zeit mit Hildmann aus.
Enderes: „ Attila hat sich immer mehr radikalisiert und sein Ziel war letztendlich nicht das, was er jetzt öffentlich äußert, also eine tolle Sache zu erwirken oder irgendetwas Schlimmes zu bekämpfen, sondern es ging immer nur um Eigennutz und Narzismus!“
Zwar setzten die Polizeibehörden Hildmann einige Male kurzzeitig fest aber dennoch konnte er über Monate nahezu unbehelligt weiter hetzen und sogar öffentlich zum Mord an Politikern aufrufen! Erst im Februar 2021 beantragt die Berliner Staatsanwaltschaft einen Haftbefehl, u.a. wegen Volksverhetzung. Enderes und Hildmann waren da längst „über alle Berge“. Sie hatten sich in die Türkei abgesetzt. „Der Fall Attila Hildmann zeigt ein unglaubliches Behördenversagen auf!
„Es kann nicht sein, dass jemand derartig radikale Thesen und Hassparolen verbreitet, Menschen konkret bedroht und beleidigt und sich dann einfach ins Ausland absetzen kann! Das zeugt davon, dass anscheinend die Gefahr und vor allem unterschätzt wurde, welche Signalwirkung von so einem Fall ausgeht“, so Katharina Nucon.
Besonders aktiv im Verbreiten von Unwahrheiten und Verschwörungsmythen ist auch der Internet-Sender „Klagemauer TV“ auch „Kla TV“ genannt. Manche der Videos dort kommen auf mehrere Millionen Aufrufe. Nucon: „Klar TV“ spielt natürlich auch eine Rolle in der verschwörungsideologischen Szene Deutschlands, weil sie am laufenden Band neue Videos produzieren. Hinzukommt, dass dort dann eben auch Inhalte verfügbar sind, die z.B. bei „Youtube“ gesperrt werden würden.“
Mastermind hinter „Klagemauer TV“ ist Ivo Sasek. Gründer und Führer der „OCG“. Das ist die „organische Christus Generation“! Eine fundamentalistische Sekte aus der Schweiz. Sie lehrt z.B. Kinder zu schlagen, um deren Willen zu brechen. Die „OCG“ lehnt die Demokratie ab und verbreitet systematisch Desinformation und Verschwörungsmythen. Damit versucht Sektenchef Sasek seine Gefolgschaft um sich zu sammeln. Per „Kla TV“ ruft er sie immer wieder dazu auf, bis zum Äußersten gegen die angebliche Weltverschwörung anzugehen.
Mit dem Sänger und Verschwörungsideologen Xavier Naidoo hatten viele Verschwörungsgläubigen einen Verbündeten gefunden. In einem millionenfach gesehenen Musikvideo waren vermeidlich bekannte Rechtsradikale und Querdenker zusammen mit Naidoo zu sehen. Seinerzeit ein bemerkenswerter Brückenschlag. Jetzt hat sich Xavier Naidoo von seinem Irrglauben deutlich distanziert. Grundsätzlich eine gute Reflexion. Noch ist nicht klar, ob dies auch wirklich so ist. Diesbezüglich muss noch etwas Aufarbeitung folgen, da sein drei minütiges Statement noch einige viele Fragen offen ließ.
Der Kitt, der Esoterik, Rechtsextremismus und verschwörungsideologisches Milieu zusammenhält, sind ganz klar die Feindbilder. „Medien, Wissenschaft und Politik belügen uns. Es gibt eine Verschwörung . Es gibt eine verborgene Wahrheit hinter den Dingen“. Und dahinter verschwinden dann auch die Unterschiede und man tut sich zusammen und mobilisiert z.B. zu Protesten oder Demos oder nimmt gemeinsam Videos auf. In der Rechtsextremen Szene wurden Verschwörungserzählungen immer schon dazu instrumentalisiert, um Menschen zu radikalisieren.
Diese „Überzeugung“ man lebe in einer Diktatur, lädt somit viel zu Viele dazu ein, sich dagegen wehren zu wollen, auch wenn dem nicht so ist. Diese Saat des Misstrauens, sie ist leider längst aufgegangen. Denn die Verschwörungsgläubigen hören offensichtlich nicht damit auf, Andersdenkenden ihre Meinung aufdrängen zu wollen und spalten sich dann selbst ab, wo sie auf Gegenwehr stoßen.
Viele Menschen haben offensichtlich große Angst. Und Angst ist die Triebfeder der Verschwörungstheorien. Diese Menschen fühlen sich, als hätten sie die Kontrolle über ihr Leben verloren. Die emotionalen Notlagen, in der sich Menschen, die sich Verschwörungstheorien zuwenden befinden, sind oftmals sehr groß und belastend. Aber es sind Sackgassen, oftmals in einem toten Winkel der Algorithmen und Filterblasen, welche nur noch die eigene Meinung und keinen Einspruch mehr zulassen. Auf lange Sicht sind das alles Phänomene, die auf Angst basieren und die Betroffenen psychisch „kaputt machen“. Denn wer täglich unter der Angst der Verschwörung, der Zerstörung oder eines aufkommenden Weltkrieges und Kinder mordenden Eliten lebt, der kann nunmal kein glücklicher Mensch sein!