Klimawandel, Vielfalt und Gerechtigkeit:
Wie Werte uns einen und auch trennen
Aktuelle Debatten zu gesellschaftlichen Zukunftsfragen vermitteln den Eindruck einer zunehmenden Polarisierung in der Bevölkerung. Eine Studie zeigt aber, dass die Diagnose einer gespaltenen Gesellschaft zu kurz greift.In der vorliegenden Studie haben wurde untersucht, wie Werthaltungen die Sicht der Menschen in Deutschland auf gesellschaftliche Grundfragen prägen. Sie basiert auf einer Befragung von insgesamt 1.012 Personen. Im Mittelpunkt standen hierbei die Themen Klimawandel, Vielfalt und Gerechtigkeit. Als Kernergebnis kann festgehalten werden: in allen drei Themenkomplexen ist die Bandbreite an Positionen groß. Damit greift die Diagnose einer gesellschaftlichen Polarisierung zu kurz. Trotz unterschiedlicher Sichtweisen teilt die Mehrheit der Bevölkerung aber elementare Werte. Es gibt aber auch eine gravierende Ausnahme: Personen mit einem materialistischen Weltbild, die sich im typischen Fall an Konsum, Wohlstand und Autonomie orientieren, vertreten durchweg konträre Positionen.
Sieben Wertemilieus als Ausgangspunkt der Analyse
Grundlage für die Analyse stellen sieben Wertemilieus dar, die als empirisches Instrument zur Beschreibung der gesellschaftlichen Wertepluralität dienen und Grundzüge unterschiedlicher Werthaltungen, die in unserer Gesellschaft vertreten werden, verdichtet wiedergeben. Diese wurden bereits in einer vorhergehenden Studie entwickelt und erprobt. Folgende Wertemilieus wurden anhand repräsentativer Daten ermittelt: 1. Kreative Idealist:innen, 2. bescheidene Humanist:innen, 3. Individualistische Materialist:innen, 4. unbeschwerte Beziehungsmenschen, 5. sicherheitsorientierte Konservative, 6. leistungsorientierte Macher:innen und 7. unkonventionelle Selbstverwirklicher:innen. Sie sind in Deutschland etwa gleich stark und quer durch die Gesellschaft in allen Alters-, Bildungs- und Einkommensschichten vertreten. Allerdings lassen sich die Wertemilieus durch soziodemografische Charakteristika näher beschreiben.
Bertelsmann Stiftung
Zusätzlich zu den Unterschieden zwischen den Wertemilieus haben wir in der Studie geprüft, inwieweit sich die Einstellungen auch hinsichtlich Einkommen, Bildungsgrad, Alter, Ost- und Westdeutschland sowie nach Parteineigung unterscheiden. Diese Befunde sind in der Studie ebenfalls ausgewiesen, fallen in der Regel aber weniger deutlich aus als die Unterschiede hinsichtlich der Werthaltungen.Die Veränderungsbereitschaft für mehr Klimaschutz ist groß
Insgesamt ist mit 72 Prozent die Mehrheit der Befragten der Meinung, dass wir für die Bewältigung des Klimawandels tiefgreifende gesellschaftliche und soziale Veränderungen brauchen; diese Ansicht zieht sich durch die meisten Wertemilieus. Bei den Maßnahmen gehen die Meinungen stärker auseinander. Während die einen – vor allem die Leistungsorientierten mit einem Anteil von 43 Prozent – stärker auf den technologischen Fortschritt setzen, gehen die anderen davon aus, dass wirksamer Klimaschutz nicht ohne spürbare Veränderungen in unserem Alltagsverhalten machbar ist. Unter Materialist:innen ist jedoch nur eine Minderheit (43 Prozent) veränderungsbereit; in diesem Milieu geht mit 39 Prozent ein großer Anteil davon aus, dass der Klimawandel ein natürliches Phänomen ist und die Natur sich selbst regeneriert.Bertelsmann Stiftung
Zusammenleben in Vielfalt: Grenzen der Offenheit
Die vertretbare kulturelle und religiöse Vielfalt in der Gesellschaft fassen vor allem Idealist:innen (63 Prozent) und Humanist:innen (64 Prozent) weit und sehen den notwendigen Rahmen durch das Grundgesetz definiert. Leistungsorientierte (55 Prozent) plädieren eher für eine engere Grenzsetzung, die sich an westeuropäischen Standards orientiert. Wiederum sind es die Materialist:innen, die am deutlichsten abweichen: Unter ihnen halten insgesamt 80 Prozent entweder nur eine „vertraute“ Vielfalt im westeuropäischen Rahmen für hinnehmbar oder erwarten sogar eine Anpassung an eine „deutsche Leitkultur“. Vielfalt als solche wird insgesamt nur von einer sehr kleinen Minderheit der Befragten abgelehnt (2 Prozent). Wenn es um das Kopftuch geht, wird jedoch eine Polarisierung quer durch alle Wertemilieus sichtbar.
