Zwischenbilanz zur Integration von Geflüchteten
Fünf Jahre nach „Wir schaffen das“:
Vier Studien auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) – Geflüchtete gehören meist zur besser gebildeten Hälfte ihrer Herkunftsgesellschaft – Eigene hohe Erwartungen an die Aufnahme einer Beschäftigung erfüllten sich teilweise – Schulische und außerschulische Integration geflüchteter Kinder und Jugendlicher vielfach erfolgreich – Sorgen in der hiesigen Bevölkerung über Zuwanderung nehmen ab.Geflüchtete sorgen sich mehr um Fremdenfeindlichkeit
Vor fünf Jahren erreichte die Fluchtzuwanderung in Deutschland ihren Höhepunkt. Bundeskanzlerin Angela Merkel begegnete den Sorgen in der Bevölkerung mit dem Satz „Wir schaffen das“. Inwieweit Geflüchtete mittlerweile in Deutschland integriert sind und wie das Zusammenleben gelingt, haben WissenschaftlerInnen am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) in vier Studien untersucht. Gemeinsame Datengrundlage ist die IAB-BAMF-SOEP-Befragung von Geflüchteten, eine repräsentative Längsschnittbefragung.„Die Studien zeigen, dass in vielen Bereichen die Integration von Geflüchteten bereits gelungen ist“, sagt C. Katharina Spieß, Ökonomin und Leiterin der Abteilung Bildung und Familie am DIW Berlin. „Es werden aber auch in den nächsten Jahren weitere Anstrengungen auf beiden Seiten – der Zuwanderungs- wie der Aufnahmebevölkerung – notwendig sein. Diese sollten wir als wichtige Investitionen für die Zukunft unserer Gesellschaft verstehen.“
Geflüchtete hatten hohe Erwartungen an eine Beschäftigungsaufnahme
Im Zuge der hohen Fluchtmigration nach Deutschland wurde häufig diskutiert, wie schnell Erfolge bei der Arbeitsmarktintegration zu erwarten sind. Eine Studie untersuchte nun erstmals die Erwartungen der Geflüchteten selbst. Die Ergebnisse: Zwei von drei Geflüchteten schätzten 2016 ihre Chancen, bereits zwei Jahre später erwerbstätig zu sein, als hoch ein. Insbesondere Männer und höher Gebildete hatten große Erwartungen. Ein Drittel der Geflüchteten hatte eher keine Beschäftigung erwartet. Während sich für rund die Hälfte der Geflüchteten ihre – positiven wie negativen – Erwartungen bestätigt haben, konnte etwa ein Drittel anders als erhofft keinen Arbeitsplatz finden. „Geflüchtete können sich meist vor ihrer Ankunft in Deutschland nicht in gleichem Maße wie andere Zuwanderergruppen über den hiesigen Arbeitsmarkt informieren“, sagt Felicitas Schikora, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) am DIW Berlin. „Gleichzeitig können sich enttäuschte Erwartungen negativ auf die Integration auswirken. Deshalb spielen Erwartungsmanagement und Transparenz über Anforderungen und Qualifizierungsmöglichkeiten für sie eine wichtige Rolle.“Geflüchtete gehören zur gebildeteren Hälfte ihrer Herkunftsgesellschaft – dies kann ihre Integration positiv beeinflussen
Neben Sprachkenntnissen ist die formale Bildung der Geflüchteten für eine qualifizierte Beschäftigung entscheidend. Diese wird meist nach den Standards des Ziellands bewertet. Danach gemessen haben Geflüchtete häufig einen niedrigen Abschluss. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn die Bildung im Vergleich zur Herkunftsgesellschaft betrachtet wird: Denn die meisten Geflüchteten gehören zur gebildeteren Hälfte im jeweiligen Herkunftsland. Beispielsweise zählen 75 Prozent der nach Deutschland geflüchteten SyrerInnen, der größten Gruppe unten den Asylsuchenden, in ihrer Heimat zur höher gebildeten Bevölkerungshälfte. Das kann sich positiv auf die Integration im Zielland auswirken. „Aus der Forschung wissen wir, dass Zugewanderte, die in der Herkunftsgesellschaft zur gebildeteren Hälfte gehörten, schneller Deutsch lernen. Sie sind oft gesünder und erfolgreicher auf dem Arbeitsmarkt. Zudem erhalten ihre Kinder eine bessere Bildung“, so Cornelia Kristen, Professorin für Soziologie an der Universität Bamberg und Senior Research Fellow im SOEP am DIW Berlin.Schulische und außerschulische Integration ist in vielen Bereichen gelungen
In den Schulen sind Kinder und Jugendliche geflüchteter Familien meist gut integriert. So äußern sie ein großes Zugehörigkeitsgefühl zu ihrer Schule – und das sogar häufiger als andere Gleichaltrige. Zudem nutzen überdurchschnittlich viele von ihnen Ganztagsschulen und Hortangebote. Sie stehen so ganztägig in Kontakt mit Gleichaltrigen der Aufnahmegesellschaft. Nachholbedarf gibt es noch bei außercurricularen Aktivitäten in der Schule und in der außerschulischen Integration. Denn geflüchtete Kinder und Jugendliche sind in freiwilligen Bildungsangeboten noch unterrepräsentiert. Sie nehmen beispielsweise nur halb so oft an Schul-AGs teil. In Sportvereinen liegt ihre Mitgliederquote um 18 Prozentpunkte niedriger als bei Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund. „Hier sollten Schulen und Vereine noch stärker werben. Denn gerade der gemeinsame Sport in der Schul-AG oder im Verein kann den Austausch zwischen Kindern mit und ohne Fluchthintergrund fördern und so zur Integration beitragen“, empfiehlt Studienautorin Spieß.Der hohe Zuzug von Geflüchteten in den Jahren 2015 und 2016 war auch mit Sorgen in der deutschen Aufnahmegesellschaft verbunden. Eine weitere Studie zeigt, dass diese Sorgen in der Bevölkerung Deutschlands seit 2016 abnehmen – auch wenn sie noch über dem Niveau von 2013 liegen. Der Anteil der Befragten, der sich „große Sorgen“ über Zuwanderung macht, ist von 46 Prozent im Jahr 2016 auf 32 Prozent im Jahr 2018 gesunken. Im Gegensatz dazu steigen die Sorgen um Fremdenfeindlichkeit bei den Geflüchteten an. „Gegenseitiges Vertrauen könnte durch persönliche Kontakte zwischen Geflüchteten und Einheimischen gefördert werden“, sagt SOEP-Wissenschaftlerin Katja Schmidt. Im Jahr 2018 hatte aber nur etwa die Hälfte der Geflüchteten regelmäßige Kontakte zur deutschen Bevölkerung.
„Die Integration von Geflüchteten ist noch nicht abgeschlossen. Sie ist ein langfristiges gesellschaftliches Projekt, das weiterhin Aufmerksamkeit bedarf. Aber wir befinden uns auf einem guten Weg“, resümiert Ökonomin Spieß.