Elektronisch gesteuertes Infusionsset soll Sterblichkeit senken
Bei vielen Krankheiten ist eine Infusionstherapie erforderlich. Wird diese nicht kontrolliert durchgeführt, können nicht richtig dosierte Infusionen zu Komplikationen oder sogar zum Tod führen. Das Projekt ECGF-IS zielt darauf ab, die Sicherheit von Infusionstherapien in Entwicklungsländern zu verbessern. Ein kostengünstiges elektronisch gesteuertes Schwerkraftinfusionssystem soll die Sterblichkeit durch Über- oder Unterinfusion, insbesondere von Kindern, senken. Fraunhofer-Forscherinnen und -Forscher entwickeln das Gerät gemeinsam mit dem Uganda Industrial Research Institute UIRI. Für die Vorarbeiten wurden sie mit dem Deutsch-Afrikanischen Innovationsförderpreis 2020 ausgezeichnet.Gezielte Infusionstherapien können bei den unterschiedlichsten Erkrankungen die Situation der Patienten erheblich verbessern – ob als Notfallmaßnahme, um großen Blutverlust auszugleichen, bei Dehydration oder bei schweren Magen-Darm-Problemen. Auch COVID-19-Patienten werden mit Infusionen behandelt. Die häufigste Form der Therapie ist die Schwerkraftinfusion. Die Flüssigkeit mit Salzen, Nährstoffen und Medikamenten wird über einen erhöht angebrachten Infusionsbehälter mithilfe eines Infusionssystem verabreicht. Das Problem: In Entwicklungsländern wie Uganda werden in Krankenhäusern auch solche Patienten standardmäßig mit Schwerkraftinfusionssystemen behandelt, die in Industrieländern mit Infusionspumpen versorgt werden. Diese Infusionspumpen erlauben eine deutlich präzisere Dosierung des Infusionsmittels. Während Infusionspumpen die Flussrate der Infusion permanent kontrollieren, muss die Flussrate bei der Schwerkraftinfusion mithilfe einer Rollklemme am Schlauch unter dem Infusionsbeutel manuell eingestellt und permanent überwacht werden. Ein zeitaufwändiger Vorgang, für den oft nicht ausreichend Personal vorhanden ist. Eine engmaschige Kontrolle lässt sich im dortigen Klinikalltag nicht realisieren. Fehlerhafte Dosierungen können im schlimmsten Fall zum Tod führen. Häufig betroffen sind Kinder, die besonders anfällig für Fehldosierungen sind.
Automatisierte, kontrollierte Dosierung
Im Projekt ECGF-IS (Electronically Controlled Gravity Feed Infusion Set) soll ein Gerät entwickelt werden, das die Dosierung automatisiert und die Sicherheit beim Infusionsvorgang erhöht. Das neue, elektronisch geregelte Schwerkraftinfusionssystem soll die Lücke schließen zwischen der ungeregelten Schwerkraftinfusion und der hoch-präzisen, aber sehr teuren Infusionspumpe, die Ärzte in Industrieländern verwenden. Sie ist kompliziert zu bedienen, die Wartung ist teuer, die Ersatzteilverfügbarkeit eingeschränkt und die Geräte sind nicht für die teilweise rauen Umgebungsbedingungen geeignet. Auch mit der unzuverlässigen Stromversorgung kommen sie nicht zurecht und sind für Gegenden ohne Anbindung an das Stromnetz nicht nutzbar.Initiiert wurde das Vorhaben von Philippa Ngaju Makobore, Forscherin am Uganda Industrial Research Institute in Kampala, Uganda. Unterstützt wird sie von einem Forscherteam der Projektgruppe für Automatisierung in der Medizin und Biotechnologie PAMB in Mannheim, die zum Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA gehört. Für ihre nachhaltige, innovative Lösung wurden die Kooperationspartner vom Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF mit dem Deutsch-Afrikanischen Innovationsförderpreis 2020 ausgezeichnet. Die medizintechnische Entwicklung trägt dazu bei, die gesellschaftlichen Herausforderungen auf dem afrikanischen Kontinent zu meistern.
»Das neue System ist mit einem Tropfsensor ausgestattet, der die Tropfen der Infusion selbstständig zählt. Die bisherige Rollklemme wird durch einen Aktor ersetzt, der den Infusionsschlauch blockiert, sodass nur die tatsächlich erforderliche Anzahl an Tropfen fällt, mit denen der Patient medikamentiert werden muss«, erläutert Tobias Behr, Ingenieur am Fraunhofer PAMB, den Mechanismus des Schwerkraftinfusionssystems. Das Gerät sorgt zudem dafür, dass die Tropfrate konstant bleibt, gegebenenfalls aber nachjustiert wird. Der Vorteil: Der bislang verwendete Infusionsbeutel samt Schlauch muss nicht ausrangiert werden, das neue Tropfsensorsystem lässt sich einfach daranklemmen. Über ein Display kann der Arzt alle Einstellungen vornehmen. Das Gerät läuft batteriegesteuert, eine solarbetriebene Ladestation für abgelegene Gegenden befindet sich ebenfalls in der Entwicklung.
Strukturen in Uganda stärken
Die meisten Systemkomponenten sind in Uganda verfügbar und müssen nicht aus dem Ausland beschafft werden. Damit ist eine wichtige Voraussetzung erfüllt: »Wir wollen die Strukturen vor Ort stärken, die Lösung wird in Uganda aufgebaut, nötige Komponenten sollen nicht aus Deutschland importiert werden. Wir unterstützen die Partner in technischen Belangen und helfen bei den Vorbereitungen für eine Zulassung, sind aber im Prinzip nur Sparringspartner«, sagt Johannes Horsch, Gruppenleiter und Kollege von Tobias Behr am Fraunhofer PAMB.Die Sicherheit und Wirksamkeit der aktuellen Version wurde bereits in zwei klinischen Studien mit zwölf erwachsenen Patienten und 160 Kindern untersucht und untermauert. Die Flussrate des neuen Systems war im Vergleich zum herkömmlichen Gerät, mit dem eine Kontrollgruppe behandelt wurde, deutlich genauer. »Die Ergebnisse der beiden Studien waren so vielversprechend, dass wir derzeit den Prototyp optimieren«, so Behr.
Langfristig wird die Kooperation zwischen deutschen und ugandischen Forschenden anvisiert, unter anderem um Low-Cost-Medizingeräte zu entwickeln. Die Vermarktung soll kurzfristig in Ostafrika, mittelfristig bei Erfolg auch weltweit erfolgen. Zusätzlich ist geplant, ein akademisches Austauschprogramm aufzubauen sowie Lehrveranstaltungen für Studierende anzubieten. Die Netzwerke der beiden Partner sollen erweitert und die Projektergebnisse für die Lehre in Uganda und Deutschland über Medizintechnologie in Entwicklungsländern verwendet werden.