Organspende
Obwohl eigentlich alle das Thema sehr wichtig finden, haben sehr viele Menschen ihren persönlichen Standpunkt zur Organspende für sich noch nicht geklärt. Die definitive Entscheidung, in einem Organspende-Ausweis die Bereitschaft zur Spende zu dokumentieren, wird oftmals auf die lange Bank geschoben. Eine mögliche Ursache ist oft die verständliche Scheu, sich mit der eigenen Sterblichkeit zu beschäftigen.
Diese Befangenheit ist verständlich, führt aber zu einer merkwürdigen Diskrepanz: So wollen in Deutschland mehr Menschen in einer Notsituation von einem Spenderorgan profitieren als umgekehrt selbst durch eine Organspende bedrohtes Leben retten. Mitarbeiter in Kliniken, die täglich mit Todkranken konfrontiert sind, betrachten diese Haltung zu Recht als inkonsequent.
Jeder kann im Prinzip durch einen plötzlichen Unfall oder durch eine schwere Krankheit in die Lage geraten, auf eine Transplantation angewiesen zu sein. Und nicht nur das: Rein statistisch gesehen ist die Wahrscheinlichkeit sogar größer, selbst einmal ein Organ zu benötigen, als Organspender zu werden.
Ein weiterer Widerspruch wird beim Thema „Patientenverfügung“ offenbar. Viele Betroffene lehnen in ihrer Verfügung lebensverlängernde, intensivmedizinische Maßnahmen ab, wenn keine Hoffnung mehr auf eine Rückkehr ins Leben besteht. Nicht wenige haben aber gleichzeitig Probleme, wenn es um die Organspende geht: Werden da nicht doch zu früh die Maschinen abgestellt?
„Das Gegenteil ist der Fall“, erklärt Dr. Axel Rahmel, Medizinischer Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation. „Ziel aller medizinischen Maßnahmen im Falle eines Unfalls oder einer schweren Erkrankung ist es, das Leben des Patienten zu retten. Nur wenn die Gesamtfunktion des Gehirns unwiederbringlich ausgefallen ist, stellt sich die Frage nach einer Organspende.“
Zur Entscheidung des Bundestages, die doppelte Widerspruchslösung bezüglich der Organspende in Deutschland nicht einzuführen, sagt Dr. Pedram Emami, MBA, Präsident der Ärztekammer Hamburg: „Ich bedaure sehr, dass die Mitglieder des Deutschen Bundestages sich nicht dazu durchringen konnten, die doppelte Widerspruchslösung einzuführen. Sie haben damit die Chance vertan, einen wichtigen Baustein zur Erhöhung der Spenderzahlen auf europäisches Niveau gesetzlich zu zementieren.“ Emami sieht das Selbstbestimmungsrecht des Menschen durch die Widerspruchslösung nicht in Gefahr. „Ein einfaches „Nein“ ohne Begründung hätte ausgereicht, um zu widersprechen“, sagt Emami weiter. „Die Entscheidungslösung und viele Anstrengungen zur Aufklärung der Menschen haben leider nicht dafür gesorgt, dass mehr Menschen ihren Willen dokumentieren. Sowohl Ärztinnen und Ärzte als auch die Angehörigen stehen deshalb viel zu oft vor der hochgradig belastenden Situation, eine Entscheidung treffen zu müssen, die im Sinne der Selbstbestimmung eigentlich zu Lebzeiten hätte gefällt werden müssen.“ Grundsätzlich gibt es eine hohe Zustimmungsquote von 80 Prozent zur Organspende innerhalb der Bevölkerung in Deutschland. Im europäischen Ausland zeigt sich, dass eine Kombination aus doppelter Widerspruchslösung, Aufstockung monetärer Ressourcen sowie einer unabhängigen, zeitlich gut ausgestatteten Position der Transplantationsbeauftragten deutlich höhere Spenderzahlen zur Folge hatte.
Im vergangenen Jahr haben in Deutschland 932 Menschen nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe für eine Transplantation gespendet. Damit hat sich die Zahl der Organspender annähernd auf dem Niveau von 2018 (955 Organspender) gehalten. Der deutliche Anstieg im vorletzten Jahr hat sich demnach nach vielen Jahren des Rückgangs der Organspende konsolidiert. Allerdings bildet Deutschland mit einer bundesdurchschnittlichen Spenderrate von 11,2 Spendern pro eine Million Einwohner nach wie vor eines der Schlusslichter im internationalen Vergleich.