Klimakrise: Was jetzt getan werden muss
Mit eindringlicher Kritik an der Bundesregierung haben Natur- und Umweltschutzverbände ein Handlungsprogramm zur wirksamen Eindämmung der Klimakrise veröffentlicht. Die Verbände fordern die Bundesregierung auf, endlich zu handeln und effektive Maßnahmen zum Schutz des Klimas und der Einhaltung des 1.5 Grad Erhitzungs-Limits von Paris zu ergreifen. „Wir befinden uns am Anfang einer gefährlichen Klimakrise. Dürresommer und Hitzewellen, Überflutungen und Sturmschäden werden uns mit Regelmäßigkeit treffen. Wir brauchen wirksame Maßnahmen und zwar sofort. Für Symbolpolitik ist die Zeit abgelaufen”, so die Verbände. Mit dem Handlungsprogramm liegt der Bundesregierung jetzt ein Paket vor, das einen wirksamen Einstieg zum Erreichen und Nachbessern des 2030-Klimaziels sicherstellt und den Stillstand der vergangenen Jahre beendet.Wie von der Wissenschaft gefordert, bedarf es eines grundlegenden Wandels vieler Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft. Ziel der Regierung ist es, den Kohlendioxid-Ausstoß in Deutschland schnellstmöglich um 40 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Gleichzeitig muss die Landnutzung klima- und naturverträglich werden. Der Kohleausstieg muss sofort beginnen, der Weg zu 100% Erneuerbaren Energien auf naturverträgliche Weise massiv beschleunigt werden, der Umbau des Verkehrssystems mit klaren Rahmensetzungen vorangebracht und die Europäische Agrarpolitik reformiert werden. Klimaschutzgesetz, CO2-Preis und Instrumentenpaket müssen den Weg in deutliche jährliche CO2-Reduktionen bahnen.
Die Bundesregierung will bei der letzten Sitzung ihres Klimakabinetts am 20. September einen Maßnahmenkatalog beschließen. Schon jetzt zeigt sich aber, dass die dort vorgeschlagene Kombination aus reinen Anreizprogrammen und einem Einstieg in eine CO2-Bepreisung noch nicht einmal für diese Ziele ausreichen wird. Nötig sind stattdessen klare und messbare gesetzliche Maßnahmen, die jederzeit nachgeschärft werden können. Hierfür muss die Bundesregierung verbindliche Sofortmaßnahmen im Rahmen des anstehenden Klimaschutzgesetzes umsetzen. Die Umweltverbände fordern unter anderem:
- Ein wirksames Klimaschutzgesetz
- Einstieg in die Kohlendioxid-Bepreisung noch in dieser Legislaturperiode
- Klimaschutz-Fonds weiterentwickeln
- Umgehender Start des Kohleausstiegs: Abschaltung der dreckigsten Braunkohlekraftwerke Naturverträglicher Ausbau der Erneuerbaren Energien
- 365-Euro-Jahresticket im ÖPNV
- Moratorium für den Aus- und Neubau neuer Fernstraßen und Flughäfen bis 2029
- Bahnpreise auf innerdeutschen Strecken günstiger als Flugpreise machen
- Grundlegende Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU, damit in Klima- und Naturschutz investiert werden kann – statt Intensivierung anzuheizen
- Reduktion der Nutztierbestände, gebunden an die zur Verfügung stehende Fläche
- Verschärfung des Düngerechts und Einführung einer Stickstoff-Überschussabgabe
- Verpflichtung von Bund, Ländern und Kommunen, klimafreundliche Produkte bei öffentlichen Aufträgen zu standardisieren
- Abbau umweltschädlicher Subventionen
Globaler Wald-Notstand
Die weltweiten Tierbestände in Wäldern sind seit 1970 durchschnittlich um mehr als die Hälfte zurückgegangen. Zu diesem Ergebnis kommt die am August vom WWF veröffentlichte Studie „Below The Canopy“. Es ist die erste Untersuchung ihrer Art, die sich speziell der Entwicklung der globalen Tierpopulationen in Wäldern widmet. Als Hauptursache für den Rückgang nennen die Umweltschützer den durch Menschen verursachten Lebensraumverlust. Entwaldung und Degradierung der Wälder seien zu 60 Prozent für den Einbruch der Tierbestände verantwortlich. Besonders dramatisch ist die Entwicklung laut WWF in den Tropen, wie etwa dem Amazonas-Regenwald.„Die große Mehrheit aller Landtiere lebt in Wäldern und ist von ihnen abhängig. Aber diese Abhängigkeit ist wechselseitig: Wälder sind auf eine intakte Tierwelt angewiesen, die für sie lebenswichtige Funktionen erfüllt, etwa das Bestäuben und Verbreiten von Baumsamen. Ohne Tiere sinkt auch die Fähigkeit der Wälder, Kohlenstoff zu speichern. Gerade die für den Klimaschutz wichtigen Baumarten drohen ohne Tiere verloren zu gehen“, sagt Dr. Susanne Winter, Programmleiterin Wald beim WWF Deutschland. „Wälder sind unser größter natürlicher Verbündeter im Kampf gegen die Erderhitzung. Wenn wir den weltweiten Rückgang der biologischen Vielfalt umkehren und die Klimakrise verhindern wollen, müssen wir die Wälder und die dort lebenden Arten schützen.“
Insgesamt wurden die Daten von 268 Wirbeltierarten und 455 Populationen untersucht, die in Wäldern leben und vollständig von ihnen abhängig sind. Im Schnitt gingen diese Bestände von Vögeln, Säugetieren, Amphibien und Reptilien seit 1970 um durchschnittlich 53 Prozent zurück. Angesichts der dramatischen Entwicklung fordert der WWF die Staatengemeinschaft auf, den planetaren Wald-Notstand zu erklären und einen „New Deal“ für Mensch und Natur zu schließen. Ziel müsse sein, die Klimakatastrophe zu stoppen, die verbleibenden Naturräume der Erde zu erhalten und den Weg zu einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zu finden. Der Schutz und die Wiederherstellung der Wälder müssten dabei im Mittelpunkt der Anstrengungen stehen.
Der WWF nennt 2020 als zentrales Jahr für entscheidende Schritte in diese Richtung: Von den Staats- und Regierungschefs der Welt erwarten die Umweltschützer, dass sie Fortschritte bei den UN-Zielen für nachhaltige Entwicklung und dem Pariser Klimaabkommen erzielen. Vor allem aber brauche es klar definierte und messbare Meilensteine bei der Aushandlung neuer Zehnjahresziele für das Übereinkommen über die biologische Vielfalt (CBD).
Laut WWF ist die Entwaldung trotz ihrer besonderen Bedeutung nicht das einzige Problem. Der Verlust der Waldqualität spiele ebenfalls eine wichtige Rolle. Augenscheinlich intakte Waldflächen gingen nicht automatisch einher mit einer reichhaltigen Tierwelt. Waldtiere seien einer Vielzahl von Bedrohungen ausgesetzt, wozu neben dem Lebensraumverlust auch Wilderei, invasive Arten, die Erderhitzung oder Krankheiten gehörten. In manchen Regionen, insbesondere in Zentralafrika, habe man es mit dem sogenannten „empty forest syndrome“ zu tun – auf den ersten Blick intakte Wälder, in denen aber kaum noch Tiere leben. Daher bedürfe es eines ganzheitlichen Ansatzes, der über den reinen Waldschutz im Sinne von Baumbedeckung und Aufforstung hinausgeht.
Während die Studie insgesamt ein düsteres Bild vom Zustand der biologischen Vielfalt der Wälder zeichnet, zeigen die ebenfalls enthaltenen Fallbeispiele, dass sich die Waldtiere durch die richtigen Maßnahmen auch wieder erholen können. Unter anderem anhand der Gorillas in Zentral- und Ostafrika oder der Kapuzineraffen in Costa Rica hebt der WWF Lösungen hervor, mit deren Hilfe die Waldtierwelt wiederaufleben konnte.