Stärkerer Fokus auf Investitionen würde Wachstumspotential erhöhen
Umso wichtiger ist es, der Konjunktur in Deutschland wieder auf die Beine zu helfen. Die Bundesregierung hat nach Ansicht der DIW-KonjunkturforscherInnen beherzt und umsichtig reagiert. Zunächst, indem mit Krediten, Garantien und Bürgschaften Unternehmen zur Seite gesprungen wurde. Auch die Einkommen der privaten Haushalte wurden mit Instrumenten wie dem Kurzarbeitergeld, Einmalzahlungen und Zuschüssen stabilisiert. Jüngst wurde ein umfangreiches Konjunkturprogramm mit einem Volumen von etwa 130 Milliarden Euro beschlossen, das unter anderem die Mehrwertsteuer vorübergehend senkt und Familien einen Kinderbonus von 300 Euro pro Kind gewährt.
Viele der insgesamt rund 50 Maßnahmen dürften kurzfristig die Konsumnachfrage stabilisieren, es wurden aber auch erste Schritte unternommen, um Investitionen in den Bereichen Klimaschutz, Digitalisierung und Bildung anzuschieben. Unter dem Strich dürfte das Konjunkturpaket DIW-Berechnungen zufolge die Wirtschaftsleistung in diesem und im nächsten Jahr um 1,3 Prozentpunkte erhöhen und damit wesentlich dazu beitragen, dass die Wirtschaft wieder in die Spur kommt.
„Das von der Bundesregierung beschlossene Konjunkturprogramm geht in die richtige Richtung, stabilisiert die gesamtwirtschaftliche Nachfrage vor allem aber kurzfristig. Zusätzliche Investitionen zahlen sich hingegen langfristig aus und steigern die Einkommen dauerhaft.“ Claus Michelsen, DIW-Konjunkturchef
Wünschenswert ist eine weitere Stärkung der Investitionstätigkeit, mit der das zukünftige Wachstumspotential erhöht werden kann und damit auch die Rückzahlung der jetzt aufgenommenen Schulden in Zukunft erleichtert wird. Eine konsequente Neuausrichtung der deutschen Wirtschaft auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung ist bisher ausgeblieben.
Ergänzend zu und teilweise anstelle des unterbreiteten Konjunkturprogramms schlägt das DIW Berlin Maßnahmen vor, die sich an zusätzlichen Investitionsbedarfen in Richtung eines digitalen, ressourcen- und klimaschonenden Umbaus der Industrienation Deutschland orientieren. Ein besonderer Fokus liegt auf Investitionen in Schlüsseltechnologien, innovativen Gründungen, effizienten Bildungssystemen, umweltschonenden Infrastrukturen und kommunaler Daseinsvorsorge. Dies würde das Wachstum der deutschen Wirtschaft sogar dauerhaft anheben.
Ein entsprechendes Programm, das unter anderem einen Investitionsfonds für Unternehmen, eine Entschuldung der Kommunen, Impulse für die Digitalisierung sowie Forschung und Entwicklung, aber auch die Bildung und das Gründungsgeschehen in den Blick nimmt, würde spürbare Wachstumsimpulse entfalten. Bei einem Volumen von rund 192 Milliarden Euro würde das jährliche Wachstum in den kommenden zehn Jahren um durchschnittlich 0,5 Prozent pro Jahr erhöht und die Beschäftigung um mehr als 800 000 Arbeitsplätze aufgebaut.
Marcel Fratzscher, DIW-Präsident: „Der Einbruch der deutschen Wirtschaft wird in diesem Jahr deutlich drastischer sein als während der Finanzkrise vor gut zehn Jahren. Wir müssen realisieren, dass die Einschnitte schmerzlich sind und der Neustart nur sehr langsam vonstattengehen wird. Wir werden uns auf Rückschläge einstellen müssen. Vieles kann schiefgehen und eine erneute Abschwächung herbeiführen. Dass viele Unternehmen vom Exportgeschäft abhängig sind, macht die deutsche Wirtschaft in Krisenzeiten wie diesen sehr verletzlich. Einerseits ist es wichtig, dass die Inlandsnachfrage wieder auf die Beine kommt und das Wachstumspotential gestärkt wird, andererseits aber auch, dass wir unseren Partnern vor allem in Europa helfen. Hier ist Solidarität gefragt. Deutschland sollte einen überzeugenden europäischen Wiederaufbaufonds unterstützen. Ohne ein starkes Europa werden wir nicht aus der Krise kommen.“
Claus Michelsen, DIW-Konjunkturchef: „Es wird lange dauern, bis die deutsche Wirtschaft die Verluste durch die Corona-Krise ausgeglichen haben wird. Wir können nur hoffen, dass sich die Absatzmärkte für Produkte „Made in Germany“ schnell erholen. Danach sieht es aber augenblicklich nicht aus. Deutschland muss sich auf eine längere Durststrecke einstellen. Gerade deshalb ist es wichtig, ein Konjunkturpaket zu schnüren und jetzt in die Zukunft zu investieren. Wir reden schon seit geraumer Zeit über Dekarbonisierung, Digitalisierung, Infrastruktur oder bessere Bildung. Hier hat Deutschland viel nachzuholen. Das von der Bundesregierung beschlossene Konjunkturprogramm geht in die richtige Richtung, stabilisiert die gesamtwirtschaftliche Nachfrage vor allem aber kurzfristig. Zusätzliche Investitionen zahlen sich hingegen langfristig aus und steigern die Einkommen dauerhaft. Damit hinterlassen wir zukünftigen Generationen nicht nur eine wettbewerbsfähigere und nachhaltigere Wirtschaftsstruktur – wir erleichtern mit höherem Wachstum auch den Schuldenabbau.“
Geraldine Dany-Knedlik, Expertin für die Weltwirtschaft: „Weltweit erleiden Haushalte und Unternehmen enorme Einkommens- und Umsatzausfälle und sind gleichzeitig erheblich verunsichert über den weiteren Pandemieverlauf und die wirtschaftliche Entwicklung. Dies dürfte Investitionen und Konsum noch bis in das kommende Jahr hinein deutlich bremsen. Daher wird sich die Weltwirtschaft nur langsam erholen. Voraussichtlich können die derzeitigen erheblichen Produktionsausfälle und der massive Einbruch im Dienstleistungssektor im Jahr 2021 nicht kompensiert werden.